Newsletter August 2019
Digitalisierung vs. Sozialisierung:
Was macht den Unterschied?
Autor: Peter von Hartlieb
Seit geraumer Zeit wird in Deutschland und Russland sowohl auf gesellschaftlicher Ebene als auch unter Experten die Frage diskutiert, ob die Digitalisierung Fluch oder Segen für die Unternehmen und deren Mitarbeiter ist. Vor dem Hintergrund, dass die sogenannte Industrie 4.0 auch für die Rohstoffwirtschaft in Deutschland und Russland zunehmend an Bedeutung gewinnt, befasst sich aufseiten des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums (DRRF) die Arbeitsgruppe Digitalisierung mit diesem Thema und lässt in die Bewertung unterschiedliche Positionen, Meinungen sowie die aktuelle Informationslage einfließen. Der folgende Beitrag spricht soziale und ethische Fragestellungen an, die sich im Zusammenhang mit der Digitalisierung ergeben können.
Das Internet der Dinge (IoT), die Robotik, die Biometrie, Virtual Reality, künstliche Intelligenz oder digitale Plattformen – dies sind einige der Technologien, die häufig in einem Atemzug mit der Digitalisierung genannt werden. Neben dem Fortschritt, der mit ihnen zweifellos auch für die Rohstoffwirtschaft verbunden ist, werden jedoch zunehmend auch kritische Fragen gestellt: Könnten unsere Privatsphäre, Autonomie, Sicherheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit und das Machtgleichgewicht in Gefahr geraten? Um die digitale Berufswelt auch hinsichtlich sozialer und ethischer Aspekte erfolgreich zu gestalten, müssen die Interessengruppen ein klares Verständnis von den zur Verfügung stehenden Technologien haben und gleichzeitig ein Bewusstsein für den verantwortungsvollen Einsatz entwickeln.
In Deutschland ist man derzeit beispielsweise in den Bereichen Privatsphäre und Datenschutz gut aufgestellt und verfügt über entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen. Ob das gültige Gesetz in seiner momentanen Form auch künftig Bestand haben wird, bleibt dennoch abzuwarten. Denkt man jedoch in Zusammenhang mit der Digitalisierung an ethische Fragen wie Diskriminierung, Autonomie, Menschenwürde oder ungleiche Kräfteverhältnisse, stellt man fest, dass die staatliche Aufsicht bei weitem noch nicht so gut organisiert ist. Daraus ergeben sich eine Menge Potenzial für Überlegungen, Diskussionen und Abstimmungen. Es gilt also, eine Bewertung der global weiterwachsenden Digitalisierung im Bereich der Rohstoffwirtschaft in Gegenüberstellung sozialer Problematiken vorzunehmen.
Digitalisierung im Rohstoffsektor hinkt hinterher
Auch wenn automatische Systeme mit Prozesssteuerungen beispielsweise im nordrhein-westfälischen oder dem saarländischen Untertagebergbau mit zunehmender Geschwindigkeit entwickelt werden, bleibt festzuhalten, dass der Miningbereich gegenüber anderen Segmenten – beispielsweise der Automobilindustrie – durchaus hinterherhinkt. Dadurch fehlt es auch an flächendeckender Erfahrung mit möglichen Auswirkungen einer durchgängigen Digitalisierung in der Montan-Industrie. Die deutschen Moderatoren der DRRF-Arbeitsgruppe für Digitalisierung, Peter v. Hartlieb und Prof. Dr. Marian Paschke, haben es sich gemeinsamen mit der Staatlichen Bergbau-Universität Sankt Petersburg (Russland) zur Aufgabe gemacht, den Themenbereich weiterzuentwickeln.
Digitalisierung mit negativen Auswirkungen auf die Gesellschaft
Eine interessante Entwicklung, die zudem im Bericht des Weltwirtschaftsforums “Digitale Medien und Gesellschaft” genannt wird, lautet: „Die Digitalisierung erhöht die Produktivität und die Flexibilität für Arbeitnehmer sowie Arbeitgeber und ermöglichst eine stärkere Integration von Beruf und Privatleben.“ An dieser Stelle stellt sich jedoch die Frage: Ist eine stärkere Integration von Beruf und Familie tatsächlich so vorteilhaft? Wie wirkt sich das Verwischen der Grenzen des Privat- und Berufslebens auf die Gesellschaft aus? Auch wenn damit möglicherweise die Leistung der Beschäftigten erhöht wird, so liegt innerhalb der Arbeitsgruppe die Vermutung nahe, dass die Auswirkungen auf das Familienleben und die Gesundheit eher negativ sein könnten.
Tatsächlich tendieren viele Menschen anscheinend dazu, sich nie wirklich von den digitalen Produktivitätswerkzeugen oder den digitalen Medien zu lösen. Guy Standing, der britische Ökonom und Autor des Buchs „The Precariat“, argumentiert, dass die Globalisierung alles „vermarktet“ und die Zahl der Menschen erhöht, die unsichere Formen der Arbeit verrichten. Während das Prekariat sich den vorgegebenen Arbeitsbedingungen unterwerfen muss, werden gleichzeitig Arbeitsplätze, die zu einem kurzfristigen Lebensstil führen, geschaffen, der damit verbunden sein kann, dass für die wenigsten Hoffnung auf eine Zukunft oder eine aufsteigende Karriere besteht. Als Beispiel führt Standing die Medien- oder Musikbranche auf, die die schrittweise Kommerzialisierung von Premium-Inhalten erlebt. Ein ähnlicher Effekt ist auch hinsichtlich der Arbeit und Beschäftigung zu erwarten. Der Autor ist der Ansicht, dass die Online-Konnektivität der ständigen Ablenkung für die Nutzer zu einer allgemeinen, kurzfristigen Lebensphilosophie führt. Betrachtet man also die sozialen Auswirkungen der Digitalisierung, so wird deutlich, dass sie mindestens so viel Einfluss hat wie die Erfindung der Währung oder sogar das geschriebene Wort.
Beim Ende Oktober 2018 durchgeführten Technology Forum in Zürich, an dem zahlreiche namhafte Wissenschaftler oder Manager renommierter Unternehmen teilnahmen, wurde auch deutlich, dass generell weit mehr auf dem Spiel steht als nur die Digitalisierung, das Internet der Dinge (IoT) oder Big Data. Es geht um mehr als nur technologische Innovation. Die Auswirkungen reichen im Gegenteil sehr viel weiter und beeinflussen weltweit die Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.
Die Verbreitung von Sensoren und Hardware, die bei sinkenden Preisen immer leistungsfähiger werden, die stetig wachsende Konnektivität und die Speicherung unbegrenzter Datenmengen führen für sich genommen noch nicht zu einer digitalen Transformation. Sie sind lediglich die Voraussetzungen für die technische Umsetzung. Die digitale Transformation verändert aber bereits alle Bereiche, in denen es um Messung, Diagnose oder Steuerung geht.
Die wichtigste Frage bleibt jedoch, welche konkreten Vorteile diese Entwicklungen haben. Auch dieses Thema wurde bei unseren Konferenzen schon mehrfach ergebnisoffen intensiv andiskutiert.
Ziel des Internet der Dinge ist es, echte Probleme zu lösen und die Entwicklung und Implementierung neuer Lösungen voranzutreiben, selbst in Branchen, die bislang noch nicht stark digitalisiert waren wie der Bergbau, die Schifffahrt oder Landwirtschaft.
Die Digitalisierung wirkt sich im Mining auf jeden Fall auf den Wert von Produkten wie etwa Dumper oder Servicefahrzeuge aus. Der Wert eines Fahrzeugs spiegelt sich nicht mehr nur in seiner Hardware wider. Zunehmend wichtig wird die Software. Bei Kaufentscheidungen für elektrisch oder mit Brennstoffzellen betriebene Fahrzeuge spielt der Motor – traditionell der große Mittelpunkt von Technik und Innovation – keine bedeutende Rolle mehr. Die Leistung nimmt dagegen zu, wenn die Abmessungen von Fahrzeugen kompakter werden. Neue Geschäftsmodelle auf Basis von IoT werden inzwischen zunehmend diskutiert. „Pay per Ton oder Pay for Use“-Konzepte und vergleichbare Ansätze sind hier Optionen. Anstatt sich auf Produkte und verbundene Geräte zu konzentrieren, ist es in diesem Zusammenhang an der Zeit, über Systeme und verbundene Dienste nachzudenken. Viele dieser Dienste werden im Übrigen preiswerter oder zukünftig ganz kostenlos sein. Ein Beispiel sind bereits heute aus dem worldwide web herunterzuladende Softwaren oder Apps.
