Newsletter November 2019
„Das Verständnis dafür, dass dringend gehandelt werden muss, ist eindeutig da.“
Herr Töpfer, in Ihrer damaligen Funktion als Bundesumweltminister haben Sie hierzulande bereits vor fast 30 Jahren den Startschuss für die Kreislaufwirtschaft gegeben. Nun steht Russland vor dem Aufbau einer Kreislaufwirtschaft, worüber Sie sich kürzlich auch persönlich mit dem russischen Vize-Premierminister Alexey Gordeyev ausgetauscht hatten. Wie sehen Sie die Situation in Russland?
Es wurde ganz deutlich, dass sich die Russische Föderation mit der Frage der Kreislaufwirtschaft stark beschäftigt hat und nun mittendrin ist, sie zu realisieren. Derzeit beschäftigt man sich dort auch mit der Frage, wie mit den Abfällen des Konsums und der Produktion umzugehen sei. Das steht derzeit massiv im Mittelpunkt. Dabei orientiert man sich auch stark am Vorbild aus Deutschland.
Inwiefern kann denn Russland von Deutschland in dieser Beziehung lernen?
Ich würde gar nicht von Lernen sprechen, sondern von einer Zusammenarbeit. Seit dem Aufbau des Kreislaufsystems in Deutschland, das zu seiner Geburtsstunde im Jahr 1991 eine absolute Weltneuheit war, hat sich auch in Deutschland einiges getan. Das betrifft technische oder organisatorische Möglichkeiten genau wie wirtschaftliche Chancen. Hierzulande ist die gesamte Abfallwirtschaft mittlerweile ein wichtiger Wirtschaftsfaktor geworden. Daran sieht man, dass das Ganze ein sehr komplexer und dynamischer Prozess ist. Insofern kann man gar nicht sagen, dass Russland unseren Weg eins zu eins kopieren sollte. Vielmehr muss man das System an die Gegebenheiten vor Ort anpassen. Und diese sind, was die Abfälle angeht, absolut bedrückend.
Woran machen Sie das fest?
Naja, wenn selbst der russische Präsident Wladimir Putin dieser Frage einen ganz großen Stellenwert einräumt, dann weiß man, dass es eine ganz spezifische russische Frage ist. Deswegen wären wir etwas hochmütig, wenn wir meinen, dass unser Weg die perfekte Blaupause sei. Nein, Russland muss sein eigenes System entwickeln, angepasst an die gegebenen Verhältnisse der Abfallbeseitigung. Und diese waren gerade in der Vergangenheit mit massiven Belastungen für Mensch und Umwelt verbunden. Ich habe jedoch den Eindruck, dass man sich dessen in Russland sehr wohl bewusst ist. Der begonnene Weg mit der gewählten organisatorischen Struktur und der Zusammenarbeit mit der Wissenschaft, ist sehr gut gestartet. Auch durch die Unterstützung aus Deutschland, beispielsweise durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sowie durch deutsche Unternehmen.
Sie sprachen die Unterstützung deutscher Unternehmen und Institutionen an. Sie sind Schirmherr des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums, einem Netzwerk, das den politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Dialog beider Nationen fördert. Welche Impulse können aus einer derartigen Dialogplattform gesetzt werden?
Der regelmäßige Austausch zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft ist absolut notwendig, nicht zuletzt, wenn es um Themen wie Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft geht. Ursprünglich war das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum ja gegründet worden, um die Rohstoffbeziehungen beider Länder zu intensivieren. Mittlerweile ist das Themengebiet jedoch sehr viel weiter gefasst. So ist es beispielsweise gelungen, auch den Kreislaufgedanken über den reinen Rohstoff-Gewinnungsprozess im Bergbaubereich hinaus in das Rohstoff-Forum einzubringen. Bei der nächsten Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz vom 27. Bis 29. November in St. Petersburg werden wir deshalb eine Schwerpunktsitzung zur Kreislaufwirtschaft haben. Und es ist keine Schwierigkeit gewesen, unsere russischen Partner von der Notwendigkeit zu überzeugen. Insofern ist dies eine dringend notwendige und perspektivisch absolut wichtige Maßnahme, dass wir die thematische Ausrichtung des beiderseitigen Austauschs erweitern.
Beispielsweise auf das Thema Kreislaufwirtschaft…
Ja, darüber freue ich mich sehr, dass man die Notwendigkeit auch auf russischer Seite erkannt hat.
Inwiefern spielt auch die Knappheit gewisser Rohstoffe eine Rolle?
Es wichtig, den Begriff des Rohstoffs über den Bergbau hinaus sehr viel breiter zu definieren. Wertvolle Rohstoffe sind natürlich auch und gerade in Abfallstoffen enthalten. Und in einer Welt, die in nicht allzu ferner Zukunft auf über neun Milliarden Menschen anwachsen wird, ist eine Wegwerfgesellschaft nicht mehr tragbar. Wegwerfen ist unverantwortlich, wir müssen Kreisläufe haben und wir müssen die Wertstoffe wiedergewinnen. Das ist Rohstoffwirtschaft 2.0 oder besser noch: 4.0. Dieser Aspekt wird glücklicherweise weltweit zunehmend erkannt, und es ist gut, dass wir in Deutschland eine Führungsrolle übernommen und das System der Kreislaufwirtschaft in Gang gebracht haben.
Sie haben die Situation im Abfallbereich in Russland als bedrückend beschrieben. Könnten Sie diesen Aspekt vertiefen? Warum ist eine funktionierende Kreislaufwirtschaft in Russland so wichtig?
Die Behandlung von Müll erfolgt mitunter in einer vollkommen unkontrollierten Art und Weise. Die Fläche, die in Russland mit Deponien belastet ist, entspricht der Größe von Baden-Württemberg. Daran kann man erahnen, welche Probleme damit verbunden sind. Die Menschen leiden sehr unter den Folgen dieser unkontrollierten und nicht fachgerechten Müllentsorgung. Es gibt beispielsweise Aktivitäten, den Müll aus Moskau mit dem Zug in den arktischen Norden Russlands zu transportieren, und Sie können sich vorstellen, welche Proteste dies unter den dortigen Bewohnern auslöst. Gleichzeitig generieren der Transport und die Lagerung immense Kosten. All das zeigt, dass ein Handeln auf diesem Gebiet zwingend ist. Das erwarten auch die Menschen in Russland.
Sie sprechen die Mülltransporte an. Was wären sinnvolle Alternativen dazu?
Abfallpolitik beginnt bei der Produktentwicklung. Bereits dort muss darauf geachtet werden, dass wiedertrennbare Produkte produziert werden. Zudem muss der Einsatz von Verbundstoffen deutlich reduziert werden, da diese Stoffe später nicht zu verwerten sind. Auch ist sicherzustellen, dass die Abfallstoffe getrennt gesammelt werden. Das ist eine große Herausforderung, und in Deutschland wissen wir, wie schwer es ist, eine einigermaßen sortenreine Sammlung in verschiedenen Tonnen haben zu können. Getrenntes Sammeln ist auch eine gute Voraussetzung für eine wirtschaftlich sehr attraktive Kreislaufwirtschaft. Nicht zuletzt müssen auch Kapazitäten für die Aufarbeitung der Abfälle entwickelt werden.
Und ist Russland in diesem Bereich aktiv?
Derzeit plant Russland eine zweistellige Zahl von Müllverbrennungsanlagen zu bauen. Aber ich unterstreiche noch einmal: Unser eigentliches ist Ziel die stoffliche Wiederverwertung. Die energetische Wiederverwertung ist nur dort einzusetzen, wo die stoffliche Wiederverwertung nicht oder noch nicht möglich ist. Insofern ist die gesamte Strecke zu betrachten: vom Rohstoff, der zu einem Produkt führt, über die Gestaltung des Produkts bis hin zu den Kapazitäten für die Wiederaufarbeitung. Die Produkte sollten also so gestaltet werden, dass sie wiederaufgearbeitet und dringend benötigte Rohstoffe wiedergewonnen werden können.
Der Bau von 25 Müllverbrennungsanlagen wird derzeit in Russland geplant. Ist dies gemessen an der Größe des Landes nicht sehr wenig?
Das sehe ich nicht so. Wenn zu viele Müllverbrennungsanlagen gebaut werden, ist dies immer ein Hinweis darauf, dass die Rohstoffverwertung nicht funktioniert. Insofern bin ich der Meinung, dass Russland sind darum bemüht, nicht nur thermisch zu beseitigen, sondern auch stofflich etwas zu unternehmen. Das ist in einem Rohstoffland wie Russland sicher noch etwas schwieriger umzusetzen, als es das beispielsweise in Deutschland ist.
Wie weit sehen Sie Russland, wenn es um das Bewusstsein für dieses ganzheitliche Problem geht? Müsste man ein Umdenken nicht noch stärker forcieren?
Ich glaube, dass diesbezüglich sehr viel getan wurde. Das Verständnis dafür, dass dringend gehandelt werden muss, ist eindeutig da. Ich verweise nochmal auf die sehr klaren Worte, die Putin für diese Problematik gewählt hat. Zudem erkennt man langsam auch aufseiten der Wirtschaft, welche wirtschaftlichen Potenziale in diesem Bereich liegen. Wenn man sich nur einmal die Entsorgungsunternehmen in Deutschland ansieht, dann weiß man, dass sehr viel Geld verdient werden kann. Insofern denke ich, dass in Russland bereits sehr viel Verständnis und Bewusstsein aufgebaut wurde – sehr zu meiner Überraschung und Freude. Zudem wird auch der Druck aus der Bevölkerung immer größer, sodass ein politisches Handeln absolut notwendig ist.
Ist in diesem Zusammenhang auch der Beitritt Russlands zum Pariser Klimaschutzabkommen in diesem Jahr zu sehen?
Das ist ein sehr gutes und notwendiges Zeichen gewesen, gerade vor dem Hintergrund, dass der amerikanische Präsident 14 Tage später erklärt hat, dass man das Abkommen verlassen werde. Das zeigt, dass es offenbar unterschiedliche Gewichtungen gibt. Im Fall von Russland ist die Ratifizierung der erste notwendige Schritt. Der zweite ist die Einhaltung der damit übernommenen Verpflichtungen. Daran muss man sich später messen lassen. Durch die Unterschrift unter den Vertrag muss zwingend ein Prozess in Gang gesetzt werden, der die Umsetzung und die Einhaltung der unterschriebenen Ziele ermöglichen kann. Ich bin mir sicher, dass es diesbezüglich große Potenziale für eine vertiefende deutsch-russische Zusammenarbeit gibt.
Und derartige Kooperationsansätze können sicher auch Gegenstand des gemeinsamen Austausches bei der Deutsch-Russischen Rohstoff-Konferenz vom 27. bis 29. November in St. Petersburg sein, oder?
Absolut! Die Konferenz steht sinnbildlich für die ausgesprochen guten Verbindungen, die auf wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Ebene zwischen beiden Nationen bestehen. Diese ermöglichen auch einen kontroversen Austausch. Das zeigt, dass das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum als Organisator ein sehr wertvolles Instrument geworden ist. Wir verfügen damit über eine sehr gute Plattform, die auch über schwierige Zeiten hinweg Kurs gehalten hat und die in der Wirtschaft, der Politik und der Wissenschaft ernst genommen wird. Umso mehr freuen wir uns, dass bei der Konferenz in St. Petersburg wieder sehr hochkarätige Gäste anwesend sein werden, beispielsweise Bundesentwicklungsminister Gerd Müller, Ministerpräsidenten der Bundesländer oder hochrangige Vertreter der russischen Politik. Insofern haben wir sehr gute Voraussetzung dafür, dass auch kontroverse Themen sachlich diskutiert werden können und man entsprechende Lösungen findet.
Vielen Dank!
